Digital-Studie

Videointerviews sind bei Bewerbungsgesprächen die Ausnahme

Wer sich auf eine neue Stelle bewirbt, der kann heutzutage seine Unterlagen fast immer digital einreichen. Doch das Auswahlverfahren läuft dann in den meisten Fällen noch so ab, wie vor 50 Jahren: Wenn die Unterlagen überzeugen, folgt in der Regel ein persönliches Vorstellungsgespräch, Telefon- oder Videointerviews mit den Kandidaten im Vorfeld sind dagegen die Ausnahme.

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Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Befragung im Auftrag des Digitalverbands Bitkom unter 855 Personalverantwortlichen in Unternehmen ab 3 Mitarbeitern in Deutschland. So geben 9 von 10 Personalern (89 Prozent) an, dass sie immer persönliche Vorstellungsgespräche vor Ort mit den Kandidaten vereinbaren. Weitere 8 Prozent nutzen diese Möglichkeit oft. Telefoninterviews mit Bewerbern nutzen dagegen nur 6 Prozent immer, 11 Prozent oft. 42 Prozent verzichten dagegen grundsätzlich darauf.

Noch seltener werden Videotelefonate eingesetzt, etwa über Skype oder Facetime. Kein Personaler nutzt diese immer, gerade einmal 1 Prozent oft –81 Prozent greifen dagegen nie auf Videogespräche zurück. „Mit einem kurzen Videogespräch bekommt man schnell und mit geringem Aufwand einen ersten Eindruck vom Gegenüber. Davon profitieren beide Seiten: Der Personalverantwortliche kann so seine Eindrücke vom Kandidaten vervollständigen, der Bewerber hat die Möglichkeit, sich über die schriftlichen Unterlagen hinaus zu präsentieren und kann sich obendrein ein besseres Bild von seinem künftigen Arbeitgeber machen“, sagt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder. „Die Zurückhaltung der Personalverantwortlichen ist bemerkenswert. Gerade für junge Bewerber sind Videogespräche heute selbstverständlich.“

Neben dem persönlichen Gespräch sind auch Vor-Ort-Tests bei den Personalern beliebt. Mehr als jedes zweite Unternehmen (56 Prozent) greift darauf immer oder oft zurück. Deutlich geringer verbreitet sind Online-Tests, die nur 16 Prozent der Unternehmen immer oder oft nutzen. Aufwändige Assessment-Center vor Ort sind hingegen die absolute Ausnahme: Nur 2 Prozent aller Unternehmen führen diese immer oder oft durch.

Vor allem größere Unternehmen mit 250 und mehr Mitarbeitern greifen häufiger auf digitale Kontaktmöglichkeiten mit den Bewerbern zurück. So nutzen 4 von 10 immer oder oft Online-Testverfahren (43 Prozent), rund jedes Vierte (23 Prozent) Telefoninterviews und immerhin 17 Prozent Videogespräche. Rohleder: „Gerade kleinere Unternehmen könnten Zeit und Geld sparen, wenn sie digitale Technologien auch im Einstellungsverfahren nutzen würden.“

Experten-Interview

Thomas Nicolaus, Vice President Central Europe bei Lifesize, erklärt im Interview, was Unternehmen tun sollten, um die Situation zu ändern.

Warum nutzen Personalverantwortliche die Möglichkeit für Videotelefonate in Bewerbungsprozessen bisher so gut wie gar nicht?

Thomas Nicolaus: „Deutsche Unternehmen sind diesbezüglich noch viel zu konservativ. Die Gründe dafür sind vielschichtig und hängen auch mit der Art des Unternehmens und der Unternehmensgröße zusammen. Ich denke, einer der Hauptgründe ist, dass viele Personaler und Verantwortliche eine gewisse Angst vor der Technik an sich und möglichen Technikproblemen haben: Was, wenn die Internetverbindung nicht gut genug ist und das Bild oder das Mikrophon aussetzt, der Lautsprecher oder die Kamera nicht funktionieren? Heutzutage ist die Technik allerdings so weit, dass derartige Probleme nicht mehr auftauchen. Und gerade in größeren Unternehmen haben Mitarbeiter mittlerweile Übung im Abhalten von Videokonferenzen und können sich bei Problemen schnell behelfen.

In kleineren Unternehmen kommen Personalmitarbeiter hingegen wesentlich seltener mit Videokonferenztechnik in Berührung, weil sie es für andere Aufgaben schlicht nicht brauchen. Wenn die Übung und das Knowhow fehlen, finden so wichtige Themen wie die Mitarbeiterauswahl natürlich auch nicht auf dem digitalen Weg statt. Und zu guter Letzt kommt wahrscheinlich noch hinzu, dass es für viele Personalverantwortliche immer noch wichtig ist, einen möglichen neuen Mitarbeiter in „Echt“ kennenzulernen, also auch live zu erleben. Und das geht ihrer Meinung nach nicht gut genug per Videotelefonat.“

Was sollten Geschäftsführer tun, um die Nutzung von solchen Lösungen zu fördern?

Thomas Nicolaus: „Sie sollten die Hürde zur Nutzung einer Videokonferenzlösung für ihre Mitarbeiter möglichst klein halten. Das fängt meistens schon mit der Bereitstellung des passenden Equipments an. Ein kleiner Meetingraum, indem die Videokonferenzlösung fest installiert und auf Knopfdruck bereit ist, bedeutet für den Personaler minimalen Aufwand. Er muss sich nicht mit der Installation und Funktion von Kamera und Mikrofon und so weiter beschäftigen. Dann ist es natürlich genauso wichtig, dass Mitarbeiter ein Gefühl für diese Technik entwickeln, sodass es für sie ganz normal wird, diese zu verwenden. Entsprechende Schulungen können helfen, Wissen und das Bewusstsein für digitale Lösungen zu fördern und sie in die Unternehmenskultur einzubinden.

Am Ende werden Unternehmen von diesen Maßnahmen profitieren, denn der Bewerberpool wird sich dadurch vergrößern. Wenn Bewerber nämlich nicht mehr für jedes Bewerbungsgespräch extra anreisen müssen, werden sie sich auch breiter bewerben. Personaler können so Interessenten aus anderen Regionen oder dem Ausland besser ansprechen und haben dadurch mehr Auswahl.

In Zeiten des Fachkräftemangels steigert das die Wahrscheinlichkeit passende Talents zu finden. Ich habe das selbst erlebt, als ich vor kurzem eine neue Mitarbeiterin rekrutiert habe. Da sie Flugangst hat, kam es für sie nicht in Frage für Bewerbungsgespräche zu Kollegen ins Ausland zu fliegen. Es war für uns aber kein Problem, alle Vorstellungsgespräche per Videokonferenz abzuhalten. Wir sind sehr froh, dass wir sie auf diesem Weg für uns gewinnen konnten. Für Unternehmen ist das immer auch eine große Chance sich besonders jüngeren Bewerbern als modernes und innovatives Unternehmen zu präsentieren, bei dem die Digitalisierung voll angekommen ist. Denn schließlich haben auch gerade Millennials und Digital Natives den Anspruch, in ihrem späteren Job einmal selbst solche Lösungen zu nutzen. Da ist es immer gut, bereits im Erstkontakt zu zeigen, dass man als Unternehmen solche Lösungen selbstverständlich nutzt.“

Was muss der Bewerber bei einem Videogespräch mit einem Personaler beachten?

Thomas Nicolaus: „Heutzutage braucht der Bewerber nicht mehr als ein Laptop, ein Tablet oder ein Smartphone. Denn diese verfügen in der Regel bereits über integrierte Kamera, Mikrophon und Lautsprecher. Das ist natürlich die Grundvoraussetzung für ein Videotelefonat. Am besten prüft er vor dem Gespräch einmal die Technik und schaut, ob die Kamera funktioniert und Lautsprecher und Mikrophon angeschaltet sind. Außerdem sollte getestet werden, ob die Kamera auch gut ausgerichtet und die Räumlichkeiten hell genug sind, damit er gut zu sehen ist.

Das Gespräch sollte bestenfalls in einer ruhigen Umgebung stattfinden, damit sich die Gesprächspartner gut verstehen können und keine Zwischengeräusche stören. Auch auf die Auswahl des Hintergrunds sollte geachtet werden, denn ein ungemachtes Bett im Hintergrund wird sicherlich nicht gut beim zukünftigen Chef ankommen. Und zu guter Letzt gelten natürlich für das Vorstellungsgespräch per Video die gleichen Grundregeln wie für das Gespräch vor Ort: Pünktlichkeit, eine gute Vorbereitung, passende Kleidung und ein ruhiges Auftreten sind das A und O.“

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